Die Anliegen der demonstrierenden
jungen Menschen sind berechtigt
Zurzeit demonstrieren regelmäßig viele junge Menschen für Klimaschutz und den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklären wir auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse: Diese Anliegen sind berechtigt und gut begründet. Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei weitem nicht aus.
Das Übereinkommen von Paris, meist als Pariser Klimaschutzabkommen bezeichnet, von 2015 (UN FCCC, 2015) verpflichtet die Staaten völkerrechtlich verbindlich, die globale Erwärmung deutlich unter 2 °C zu halten. Darüber hinaus haben alle Länder Anstrengungen versprochen, die Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen.
Es kommt nun darauf an, die Netto-Emissionen von CO2 und anderen Treibhausgasen schnell abzusenken und weltweit spätestens zwischen 2040 und 2050 auf null zu reduzieren (IPCC, 2018). Eine schnellere Absenkung erhöht hierbei die Wahrscheinlichkeit, 1,5 °C nicht zu überschreiten. Die Verbrennung von Kohle sollte bereits 2030 fast vollständig beendet sein, die Verbrennung von Erdöl und Erdgas gleichzeitig reduziert werden, bis alle fossilen Energieträger durch klimaneutrale Energiequellen ersetzt worden sind. Unter Berücksichtigung von globaler Klimagerechtigkeit müsste in Europa dieser Wandel sogar noch deutlich schneller ablaufen (IPCC, 2018; Global Carbon Project, 2018).
Auch wenn weiterhin Beteiligungs- und Diskussionsbedarf besteht: Jetzt muss gehandelt werden. Beides schließt einander nicht aus. Es gibt bereits viele gesellschaftliche und technologische Innovationen, die Lebensqualität erhalten und menschliches Wohlergehen verbessern können, ohne unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören (siehe zum Beispiel Klima-Allianz Deutschland, 2018; WBGU, 2011).
In allen deutschsprachigen Ländern werden beim Umbau der Bereiche Energie, Ernährung, Landwirtschaft, Ressourcennutzung und Mobilität die notwendige Größenordnung und Geschwindigkeit nicht erreicht. Deutschland wird die selbstgesteckten Klimaschutzziele für 2020 verfehlen (UBA, 2019) und auch die Erreichung der Ziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie für 2030 ist hochgradig gefährdet (Sachverständigen Rat für Umwelt, 2018). Zudem mangelt es weiterhin an einem wirksamen Klimaschutzgesetz. Österreich hat sich in seiner Klima- und Energiestrategie Ziele gesetzt, die dem Pariser Vertrag in keiner Weise gerecht werden (CCCA, 2018; Wegener Center für Klima und Globalen Wandel, 2018; Schleicher und Kirchgast, 2019) und selbst dafür sind weder die erforderlichen Maßnahmen noch die finanziellen Mittel vorgesehen (CCCA, 2018). Zugleich sind Bodenverbrauch und -versiegelung pro Person und Jahr in Österreich die höchsten in Europa (UBA, 2018). Die Schweiz hat ihre Treibhausgas-Emissionen seit 1990 nur geringfügig verringert; gleichzeitig stiegen die im Ausland verursachten Emissionen erheblich an (BAFU, 2018). In der ersten parlamentarischen Debatte zur Totalrevision des CO2-Gesetzes wurden die inländischen Reduktionsziele gestrichen und die Reduzierung der Schweizer Emissionen sollte durch Kompensation im Ausland erfolgen. Schließlich ist das Gesetz vorläufig gescheitert (Schweizer Parlament, 2018).
Die jungen Menschen fordern zu Recht, dass sich unsere Gesellschaft ohne weiteres Zögern auf Nachhaltigkeit ausrichtet. Ohne tiefgreifenden und konsequenten Wandel ist ihre Zukunft in Gefahr. Dieser Wandel bedeutet unter anderem: Wir führen mit neuem Mut und mit der notwendigen Geschwindigkeit erneuerbare Energiequellen ein. Wir setzen Energiesparmaßnahmen konsequent um. Und wir verändern unsere Ernährungs-, Mobilitäts- und Konsummuster grundlegend.
Vor allem die Politik steht in der Verantwortung, zeitnah die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Insbesondere muss klimafreundliches und nachhaltiges Handeln einfach und kostengünstig werden, klimaschädigendes Handeln hingegen unattraktiv und teuer, zum Beispiel durch wirksame CO2-Preise (EFI, 2019), Einstellung von Subventionen für klimaschädliche Handlungen und Produkte, Effizienzvorschriften und soziale Innovationen. Eine sozial ausgewogene Verteilung von Kosten und Nutzen des Wandels ist dabei unerlässlich.
Die enorme Mobilisierung der neuen Bewegungen (Fridays for Future in Deutschland und Österreich, Klimastreik in der Schweiz) zeigt, dass die jungen Menschen die Situation verstanden haben. Ihre Forderung nach schnellem und konsequentem Handeln können wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur nachdrücklich unterstreichen.
Als Menschen, die mit wissenschaftlichem Arbeiten vertraut sind und denen die derzeitigen Entwicklungen große Sorgen bereiten, sehen wir es als unsere gesellschaftliche Verantwortung an, auf die Folgen unzureichenden Handelns hinzuweisen (siehe auch Ripple et al., 2017).
Nur wenn wir rasch und konsequent handeln, können wir die Erderwärmung begrenzen, das Massenaussterben von Tier- und Pflanzenarten aufhalten, die natürlichen Lebensgrundlagen bewahren und eine lebenswerte Zukunft für derzeit lebende und kommende Generationen gewinnen. Genau das möchten die jungen Menschen von Fridays for Future und Klimastreik erreichen. Ihnen gebührt unsere Achtung und unsere volle Unterstützung.
Der Haupttext in Gebärdensprache
In der Zeitschrift GAIA publiziertes (PDF)
(Hagedorn et al., https://doi.org/10.14512/gaia.28.2.3, CC BY 4.0, accepted May 10, 2019).
Unterschriften (mehr als 26 800!)
Fakten
Quellen
Medienecho
Autoren
Die Autoren der Publikation der Stellungnahme (in deutscher und englischer Sprache) in der wissenschaftlichen Zeitschrift GAIA sind:
Dr. Gregor Hagedorn, Berlin, Germany
Thomas Loew, Institute for Sustainability, Berlin, Deutschland
Prof. Dr. Sonia I. Seneviratne, ETH Zürich, Zürich, Schweiz
Prof. Dr. Wolfgang Lucht, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam, Deutschland
Marie-Luise Beck, Deutsches Klima Konsortium, Berlin, Deutschland
Dr. Janina Hesse, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland
Prof. Dr. Reto Knutti, ETH Zürich, Zürich, Schweiz
Prof. Dr. Volker Quaschning, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW), Berlin, Deutschland
Dr. Jan-Hendrik Schleimer, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland
Dr. Linus Mattauch, University of Oxford, Oxford, Großbritannien
Prof. Dr. Christian Breyer, LUT University, Lappeenranta, Finnland
Dr. Heike Hübener, Wiesbaden, Deutschland
Prof. Dr. Gottfried Kirchengast, Universität Graz, Graz, Österreich
Alice Chodura, Berlin, Deutschland
Dr. Jens Clausen, Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit, Deutschland
Prof. Dr. Felix Creutzig, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland
Marianne Darbi, UFZ – Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, Leipzig, Deutschland
Prof. Dr. Claus-Heinrich Daub, Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), Windisch, Schweiz
Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt, Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik, Leipzig/Berlin, und Universität Rostock, Deutschland
Prof. Dr. Maja Göpel, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Berlin, Deutschland
Dr. Judith N. Hardt, Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland
Dr. Julia Hertin, Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), Berlin, Deutschland
Prof. Dr. Thomas Hickler, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BIK-F) und Goethe Universität, Frankfurt am Main, Deutschland
Dr. Arnulf Köhncke, World Wide Fund for Nature (WWF), Berlin, Deutschland
Stephan Köster, Alice Salomon Hochschule, Berlin, Deutschland
Dr. Julia Krohmer, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt am Main, Deutschland
Prof. em. Dr. Helga Kromp-Kolb, Universität für Bodenkultur, Wien, Österreich
Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Freie Universität Berlin, Berlin, Deutschland
Linda Mederake, Ecologic Institute, Berlin, Deutschland
Michael Neuhaus, Fridays for Future, Leipzig, Deutschland
Prof. Stefan Rahmstorf, PhD, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam, Deutschland
Christine Schmidt, Institut für Betriebliche Bildungsforschung, Berlin, Deutschland
Prof. Dr. Christoph Schneider, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland
Prof. Dr. Gerhard Schneider, University of Applied Sciences and Arts Western Switzerland, Yverdon-les-Bains, Schweiz
Prof. Dr. Ralf Seppelt, UFZ – Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, Leipzig und Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland
Prof. Uli Spindler, Technische Hochschule Rosenheim, Rosenheim, Deutschland
Dr. Marco Springmann, University of Oxford, Oxford, Großbritannien
Katharina Staab, Berlin, Deutschland
Prof. Dr. Thomas F. Stocker, Universität Bern, Bern, Schweiz
Prof. Dr. Karl Steininger, Universität Graz, Graz, Österreich
Dr. Eckart von Hirschhausen, Doctors For Future und Allianz Klimawandel und Gesundheit, Berlin, Deutschland
Dr. Susanne Winter, World Wide Fund for Nature (WWF), Berlin, Deutschland
Martin Wittau, Bundesvereinigung Nachhaltigkeit, Berlin, Deutschland
Josef Zens, Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum – GFZ, Potsdam, Deutschland
Zitat
Das wissenschaftliche Zitat lautet:
G. Hagedorn, T. Loew, S. I. Seneviratne, W. Lucht, M.-L. Beck, J. Hesse, R. Knutti, V. Quaschning, J.-H. Schleimer, L. Mattauch, C. Breyer, H. Hübener, G. Kirchengast, A. Chodura, J. Clausen, F. Creutzig, M. Darbi, C.-H. Daub, F. Ekardt, M. Göpel, J. N. Hardt, J. Hertin, T. Hickler, A. Köhncke, S. Köster, J. Krohmer, H. Kromp-Kolb, R. Leinfelder, L. Mederake, M. Neuhaus, S. Rahmstorf, C. Schmidt, C. Schneider, G. Schneider, R. Seppelt, U. Spindler, M. Springmann, K. Staab, T. F. Stocker, K. Steininger, E. von Hirschhausen, S. Winter, M. Wittau, J. Zens 2019. The concerns of the young protesters are justified. A statement by Scientists for Future concerning the protests for more climate protection. GAIA, 28/2, 79-87.
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