Fossil-nukleare Gefahren aus der „Strategischen Ellipse“

Die Energiewende als Antwort auf Krieg und Klimakrise

Berlin, 27.02.2023 | Mit seiner „Zeitenwende“-Rede vor genau einem Jahr machte Bundeskanzler Olaf Scholz zu Recht deutlich, dass ein neuer Zeitabschnitt in den Beziehungen der Nationen begonnen hat. Der russische Angriffskrieg zeigte sehr schnell: Die in dieser Zeitenwende steckenden Gefahren begründen sich auch in der Abhängigkeit von fossilen Energien. Wissenschaftler:innen von Scientists for Future (S4F) zeigen in einem neuen Diskussionsbeitrag auf, welches friedensgefährdende Potenzial sich hier über Jahrzehnte angehäuft hat.

Fossile Energien waren in der Vergangenheit schon oft Ursache für gewaltsame Konflikte und Kriege. Dass umgekehrt Krieg die Energieversorgung bedroht, macht der russische Überfall auf die Ukraine derzeit in drastischer Form deutlich. Die im Bundestag geäußerte Bezeichnung von Erneuerbaren Energien als Friedens- und Freiheitsenergien verweist auf eine reale Gefahr: Der Großteil unserer derzeitigen Öl- und Gassversorgung hängt von autokratisch regierten Staaten ab.

Die Strategische Ellipse

Der aus der Wirtschaftsgeographie stammende Begriff der „Strategischen Ellipse“ bezeichnet ein Gebiet, das von der Arabischen Halbinsel über das Kaspische Meer bis zur Karasee an der russischen Nordpolarmeerküste reicht. Es umfasst zwar nur knapp fünf Prozent der Erdoberfläche, jedoch befinden sich dort mehr als zwei Drittel der weltweit bekannten konventionellen Erdöl- und Erdgasreserven. Nach dem Demokratie-Index der Economist Intelligence Unit ist kein Staat der Strategischen Ellipse eine „vollständige Demokratie“. Mehr noch: die meisten dieser Staaten sind autoritäre Regime, wie der Iran, Saudi-Arabien und die Russische Föderation. Und diese Regime sind ökonomisch wie politisch angewiesen auf den weiteren zukünftigen Export ihrer fossilen Brennstoffe.

Vor diesem Hintergrund hat die notwendige Energiewende einen weiteren Aspekt: „Wir müssen Klima- und Sicherheitspolitik konsequent zusammendenken. Es ist nicht nur klimapolitisch zwingend, von den fossilen Brennstoffen wegzukommen“, sagt Heiko Brendel, Leitautor des S4F-Papiers. „Seit zwei Jahrzehnten findet ein erheblicher Teil der weltweit steigenden Zahl gewaltsamer Konflikte in der Strategischen Ellipse statt“. Aktuell zählen dazu neben dem Russisch-Ukrainischen Krieg und dem Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan auch die Bürgerkriege im Jemen und in Syrien. Die Energiewende muss also auch als wesentliches Element von Friedenspolitik gesehen werden.

Der Weg zur energetischen Resilienz

Die EU und die demokratischen Staaten können sich letztlich nur durch die konsequente Transformation zur resilienten und nachhaltigen Energieversorgung aus der Verwundbarkeit und politischen Erpressbarkeit lösen, die sich aus der starken Abhängigkeit von autokratisch/autoritär regierten Staaten und ihren fossilen Energieträgern ergibt. Dezentrale, regenerative Energieinfrastrukturen können im Krisenfall Insellösungen ermöglichen.

Um eine umfassende Resilienz im Bereich Energie- und Ressourcenversorgung zu erreichen, schlagen die Autor:innen vor, vor allem den Primärenergieverbrauch durch mehr Effizienz und Suffizienz in möglichst kurzer Zeit so weit zu senken, dass der verbleibende Energiebedarf durch – möglichst regional erzeugte – erneuerbare Energien weitestgehend gedeckt werden kann. Dabei dürfen jedoch keine neuen Abhängigkeiten geschaffen werden. Damit durch die Energiewende innergesellschaftliche und zwischenstaatliche Spannungen verringert werden können, sollten sich alle Maßnahmen an den 17 globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs der Vereinten Nationen) orientieren.

Ein Weg aus der fossil-nuklearen Abhängigkeit muss notwendiger Bestandteil der Energiewende sein. „Die regenerative Energieversorgung ist ein entscheidender Baustein einer zukünftigen europäischen Sicherheitsarchitektur“, so der Ko-Autor Friedrich Bohn. „Sie liefert einen wichtigen Beitrag zu einer langfristigen und nachhaltigen Friedenssicherung.“  Ziel ist die größtmögliche Energiesicherheit auf Basis der Erneuerbaren, denn die Nachhaltigkeitskrise birgt außer Naturkatastrophen auch die Gefahr militärischer oder wirtschaftlicher Auseinandersetzungen, terroristischer Angriffe und Sabotageakte in sich. Wie die Berichte des Weltklimarats (IPCC) zeigen: die Frage ist nicht mehr, ob wir handeln, sondern nur noch, wie und wie schnell.

Der vollständige Text des Papiers findet sich hier:

Heiko Brendel et al. (2023): „Die Ener­giewende als Beitrag zur Resilienzstärkung und Friedenssicherung in Europa“, Diskus­sionsbei­trag 14 der Scien­tists for Future, doi: 10.5281/zenodo.7657957

und mit weiteren Beiträgen zur Energiewende in unserem Wissenszentrum:

 Ansprechpartner:

Dr. Heiko Brendel
Historiker und Politikwissenschaftler
S4F / Eberhard Karls Universität Tübingen

E-Mail:                
Mobil:                    0179 8206743

Dr. Friedrich Bohn
S4F / Helmholtzzentrum für Umweltforschung

E-Mail:                
Mobil:                   0179 6731461