Das Atomstromsystem bremst die sozial-ökologische Transformation zur Dekarbonisierung – ein Impuls

Von Peter Hennicke (Wuppertal Institute), Anna Röttger (Wuppertal Institute), Fabian Präger (TU Berlin), Christian von Hirschhausen (TU Berlin und DIW Berlin), 8. Juni 2024, veröffentlicht unter: https://doi.org/10.5281/zenodo.11406366


Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat eine weltweite Energiepreiskrise im Winter 2022/2023 ausgelöst und die Debatte über die Atomenergie als möglichen Lösungsbeitrag für Klimaschutz und Energiesicherheit wiederbelebt. Dabei dienen in der öffentlichen Debatte einzelne Atomkraftwerke als Referenztechnik für eine relativ C02-arme Form der Stromerzeugung ohne die Rahmenbedingungen dieser Technik in dynamischer Perspektive zu beachten.

Der hier vorgelegte Debattenbeitrag fokussiert daher auf systemische Transformations­hindernisse im und durch das Atomenergiesystem. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der globale Beitrag der Kernenergie zum Klimaschutz auch unter förderlichen Rahmen­be­din­gungen sehr begrenzt bleibt und dass die anstehende beschleunigte Transformation zur Klimaneutralität durch systemische Logiken der Kernenergie behindert statt gefördert wird.

Weltweite Daten zeigen, dass bereits heute erneuerbare Energien die Kernenergie in der Stromerzeugung überholt haben. Die meisten Szenarien gehen davon aus, dass sich erneuerbare Energien und Energieeffizienz in einem verstärkenden Aufwärtstrend weiterentwickeln. Die Kernenergie wirkt dagegen als Innovationshemmnis und Investitionsbarriere für klimafreundlichere und risikofreiere Technologien der Energie- und Materialeffizienz und der erneuerbaren Energien. Der Beitrag nennt dies die Transformationsresistenz des Atomenergiesystems. Sie resultiert auch daraus, dass das Ziel der Klimaneutralität spätestens bis zur Jahrhundertmitte durch Technologie allein nicht erreichbar ist, sondern eine beschleunigte globale sozial-ökologische Transformation voraussetzt – eine Voraussetzung, die ein Atomenergiesystem nicht erfüllen kann.

Wirkungszusammenhänge des Atomenergiesystems wie die wachsende Unwirtschaftlichkeit, lange Kapitalbindung, Kumulierung von Risiken, unlösbare Akzeptanzprobleme und Blockierung von Alternativen hemmen den gesellschaftlichen Transformationsprozess. Um weitere Optionen für eine rasche Transformation zur Klimaneutralität zu erschließen, werden neben den vorwiegend technologischen Strategien Effizienz und Konsistenz (Erneuerbare Energie) auch Suffizienz-Strategien (Lebensstiländerungen) und eine Kreislaufwirtschaft benötigt, die mit der großtechnischen Systemlogik der nuklearen Energieproduktion nicht in Einklang zu bringen sind.