Berlin, 08. 12. 2020 – Der Entwurf für eine neue Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) muss aufgrund von gegensätzlichen Positionen von EU-Kommission auf der einen, und EU-Rat und –Parlament auf der anderen Seite nachverhandelt werden. Eine Gruppe von Wissenschaftler*innen sieht das als Chance, in diesen Trilog-Verhandlungen notwendige Nachbesserungen zu etablieren..
Die 40 Wissenschaftler*innen aus 13 Ländern, von denen viele im wissenschaftlichen Beirat der „Scientists for Future“ mitarbeiten, zeigen in einer heute erschienenen Studie auf, wie die aktuelle GAP-Reform gerettet werden kann, denn in den nächsten Monaten werden nun die Details der GAP-Reform für die Förderperiode 2021-2027 im Trilog zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und Ministerrat ausverhandelt. Es bestehe, so die Wissenschaftler*innen, weiterhin die Möglichkeit, die GAP-Reform stärker auf Umwelt-, Klima- und Artenschutz auszurichten. Sie heben hervor, dass die GAP in eine wirksame Politik für Landwirtschaft und Umwelt umgesetzt werden kann.
Der Hintergrund: die EU-Kommission hatte aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und die Schwächen des GAP-Vorschlags von 2018 zum Anlass für Verbesserungen im Klima – und Umweltschutz genommen. Hingegen haben der EU-Rat und das EU-Parlament im Oktober 2020 Änderungen des Gesetzestexts vorgeschlagen, die den umweltpolitischen Ambitionen zuwiderlaufen und die Wirkung aller umweltpolitischen Instrumente schwächen würden. Die Beibehaltung einer GAP mit ihrer jetzigen Orientierung auf Betriebe mit großen Flächen und Intensivlandwirtschaft gefährdet zudem die mittelständische Landwirtschaft, und sie hilft den Landwirten nicht dabei, Praktiken einzuführen, die Klimarisiken und Umweltbelastungen mindern würden, lautet das Fazit der Wissenschaftler*innen.
Sebastian Lakner, Agrarökonom an der Universität Rostock, sagt dazu: „Die aktuellen Beschlüsse von Rat und Parlament schwächen die funktionierenden Agrarumweltprogramme finanziell. Für die landwirtschaftlichen Betriebe ist dies nicht von Vorteil, weil vom Status Quo ohnehin hauptsächlich wenige Landeigentümer profitieren und diese Reform keine Planungssicherheit liefert.“
Das System der GAP beruht auf zwei Säulen: Die erste Säule bilden die Direktzahlungen an die Landwirte, die je Hektar landwirtschaftlicher Fläche gewährt werden. Die zweite Säule umfasst gezielte Förderprogramme für die nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung und die ländliche Entwicklung.
Die Wissenschaftler*innen zeigen in ihrem Papier Wege auf, wie im Rahmen des Trilogs eine umweltpolitisch wirksame Reform verhandelt werden kann. Die Wissenschaftler*innen schlagen insbesondere die Beibehaltung möglichst vieler Umwelt-Vorgaben der GAP vor. Dazu zählt, dass mindestens 10% der Agrarflächen für nichtproduktive Zwecke vorgesehen werden. Die Eco-Schemes (Ökoregeln) in der 1. Säule sollten aus ökologisch tatsächlich wirksamen Maßnahmen bestehen und mit 30% der Mittel ausgestattet werden. Die Wissenschaftler*innen warnen davor, die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete (ANC) als Teil des Finanzrahmens als „grün“ aufzuführen, da es dafür keine inhaltliche Begründung gebe.
Die Notwendigkeit solcher Maßnahmen ist seit langem bekannt. Die intensive Landwirtschaft ist die wichtigste Ursache für das Artensterben und die Verschlechterung der Böden, wie Gregor Hagedorn, Biodiversitätsspezialist, erläutert: „Die Landwirte sind auf natürliche Ressourcen wie Boden, Wasser und Bestäuber angewiesen und können ohne diese nicht produzieren. Insbesondere angesichts der Umweltveränderungen muss die GAP den Landwirten helfen und sie dabei unterstützen, ihre Böden zu ihrem eigenen Wohl zu schützen, was allen zugute kommt.“
Der EU-Agrarhaushalt ist der größte Einzelposten des europäischen Gesamthaushalt. In den Jahren 2021 bis 2027 sind Aufgaben für die Gemeinsame Agrarpolitik insgesamt von 357,3 Mrd. EUR geplant, davon 270 Mrd. EUR (76%) für die Direktzahlungen und die Marktstützungen. Für die Programme zur ländlichen Entwicklung (ELER) sind in der kommenden Finanzierungsperiode nur 87,2 Mrd. Euro vorgesehen, was im Gegensatz zu einer grüneren und gerechteren GAP steht, die ländliche Gebiete unterstützt. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Auseinandersetzung um die Gemeinsame Agrarpolitik besonderes Gewicht.
Der vollständige Text der Wissenschaftlergruppe findet sich hier:
Pe’er, Guy et al. (2020): „The EU’s Common Agriculture Policy and Sustainable Farming: A statement by scientists„, Leipzig, https://zenodo.org/record/4311314#.X89zW-cxlpg
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Sebastian Lakner, Universität Rostock, Lehrstuhl für Agrarökonomie;